Technische Fachhochschule Berlin
FB VIII Maschinenbau-, Verfahrens- und Umwelttechnik




Kurzbeschreibung der Diplomarbeit von A. J. Kleier mit dem Titel:

NUMERISCHE SIMULATION VON FESTSTOFFSTRÖMUNGEN IN EINEM REDUKTIONSSCHACHT


Animation
Simulation der Schüttgutbewegung im Spinnenbein (Zufuhr zum Reduktionsschacht)



Zeitraum:
Sommersemester 1999
von:
Dipl. Wi.-Ing. Axel Joachim Kleier
Betreuer:
Prof. Dr.-Ing. Hans-Dieter Kleinschrodt


Eines der komplexesten Aufgabengebiete der mechanischen Verfahrenstechnik ist die Beschreibung und Erforschung des Fließ- und Lagerungsverhaltens von Schüttgütern. In dieser Arbeit soll das Fließverhalten von Erz in einem Schacht untersucht werden. Diese Untersuchung wird mittels einer Computersimulation durchgeführt.

Mit dem Programm PFC2D (Particle Flow Code) von Itasca Consultants, welches mit diskreten Körpern arbeitet, ist es möglich, individuell die Bewegung jedes einzelnen Körpers zu verfolgen. Damit bietet dieses Verfahren der numerischen Modellierung nahezu einzigartige Möglichkeiten der Untersuchung des Fließ- und Lagerverhaltens von Schüttungen.
Untersucht wird das Fließverhalten von Stückerz in einem Reduktionsschacht, der Teil des COREX®-Prozesses zur Roheisenherstellung ist. Zunächst wird der Schacht durch ein 2D-Ersatzmodell abgebildet. Ziel der Untersuchung ist die Prüfung des Ist-Zustandes mit einem Referenzmodell und die Durchführung von Parameterstudien, um das Verhalten bei veränderten Randbedingungen zu prüfen.



Gegenstand der Untersuchung ist, wie oben erwähnt, die Simulation des Fließverhaltens eines granularen Feststoffes in einem Reduktionsschacht. Dieses siloartige Bauteil ist eines der Hauptbestandteile des COREX®-Prozesses, einem speziellen Schmelzreduktionsverfahren zur Herstellung von Roheisen aus Kohle und Eisenerz. Im Vergleich zum konventionellen Hochofenverfahren kann beim COREX®- Prozeß nicht verkokbare Kohle direkt als Energieträger und Reduktionsmittel eingesetzt und Eisenerz in Form von Stückerz verwendet werden. COREX® ersetzt somit die Kokerei, Sinteranlage und den Hochofen.
In der folgenden Abbildung ist ein Fließbild des Verfahrens dargestellt:




Der Particle Flow Code in 2 Dimensionen wurde zur Modellierung verwendet. PFC basiert auf der Distinct Element Method und modelliert die Wechselwirkung von kreis- (2D) bzw. kugelförmigen (3D) Partikeln. Zusätzlich stehen Wandelemente zur Verfügung, die i.A. als Ränder des numerischen Modells und zum Aufbringen der Randbedingungen verwendet werden. Wände wechselwirken nur mit den Partikeln, d.h. eine Wand-Wand-Wechselwirkung findet nicht statt. Die Partikel sind starr, d.h. nicht-deformierbar.
Der explizite Berechnungsalgorithmus besteht aus zwei Teilen. Die Newton'schen Bewegungsgleichungen werden in jedem Rechenschritt für jeden Partikel gelöst, woraus sich neue Positionen der Partikel ergeben. Mit Hilfe eines Kraft-Verschiebungs-Gesetzes werden dann im zweiten Teil die sich daraus ergebenden neuen Kontaktkräfte berechnet. Kontakte werden vom Programm zu jedem Zeitpunkt vollautomatisch erkannt. Es gibt zwei Kontaktarten; Punktkontakte, die nur der Kraftübertragung dienen, und Parallelkontakte, die eine Art Zementierung darstellen und sowohl Kräfte als auch Momente übertragen können.
Für die hier vorgestellten Berechnungen wird nur das Punktkontakt-Modell mit einem linearen Kraft-Verschiebungs-Gesetz benutzt. Dabei werden den Kontakten Normal- und Schersteifigkeiten zugewiesen, die es erlauben, Normal- und Scherbewegungen getrennt zu behandeln. Ein Reibungsmodell wird verwendet, um die maximal zulässige Scherkraft an einem Kontakt über einen Reibungskoeffizienten aus der wirkenden Normalkraft zu berechnen. Das makroskopische Verhalten des Modells wird durch die mikroskopischen Parameter der Partikel (Steifigkeiten, Reibungswinkel, Festigkeiten) bestimmt.
PFC besitzt zusätzlich eine interne Programmiersprache (FISH), die den Zugriff auf alle physikalischen und Modellparameter erlaubt, und von der einfachen Funktionsberechnung bis hin zur kompletten Steuerung einer Modellierung eingesetzt werden kann.
Da PFC einen expliziten Zeitintegrationsalgorithmus verwendet, kann das Modell zu jedem Zeitpunkt der Modellierung modifiziert werden. Gleichzeitig erfordert der explizite Algorithmus einen Zeitschritt, der zur Integration der Bewegungsgleichungen benötigt wird und so gewählt wird, daß sich die physikalischen Informationen in einem Rechenschritt maximal von einem Partikel bis zum nächsten Partikel ausbreiten können. Die Größe des Zeitschritts wird von der Masse und den Kontaktsteifigkeiten der einzelnen Partikel bestimmt. Da nur ein Zeitschritt für das gesamte Modell verwendet wird, wird der minimale Wert des Gesamtmodells verwendet.
Eine 3D-Modellierung mit Partikeln realistischer Größe führt zu einem aus Millionen von Partikeln bestehenden numerischen Modell. Eine Reduzierung auf den 2D-Fall mit Originalabmessungen und der Kornverteilung des Stückerzes reduziert die Modellgröße auf einige 100.000 Partikel. Aufgrund der zu modellierenden Echtzeit und der kleinen Partikelmassen kommt es bei der großen Partikelanzahl zu sehr hohen Rechenzeiten. Um diese zu reduzieren, wurde von der Modellsymmetrie Gebrauch gemacht.



Da die Bewegung des Schüttgutes im zweidimensionalen Raum berechnet werden soll, ist es notwendig eine entsprechende Ansicht auszuwählen, die für Simulationen geeignet erscheint. Wird ein 60°-Auschnitt des zylinderförmigen Schachtes betrachtet, so ist dieser durch drei vertikale Hauptflächen begrenzt. Die Fläche des Kreissektors, in der die zwei Halbkreise der Schneckenumhüllenden liegen und zwei Ebenen, die die Schneckenumhüllenden in Längsrichtung schneiden. Ausgehend von diesem dreidimensionalen 60°-Ausschnitt des Schachtes (Abb. 2a), dessen Betrachtung aus Symmetriegründen ausreicht, wird eine der Schnittebenen ausgewählt, die die Schneckenumhüllenden längs in der Mitte schneiden (Abb. 2b). Die Schneckenumhüllenden ragen dabei sternförmig in den Schacht. Das Spinnenbein, welches in der Realität zwischen diesen beiden Ebenen liegt, wird in den Schnitt verschoben. Somit kann in dieser Schnittebene das Schüttgut durch das Spinnenbein nachsacken und unten im Bereich der Schneckenumhüllenden ausgetragen werden.
Um den Zeitschritt für die Integration der Bewegungsgleichungen zu vergrößern und damit die Anzahl von benötigten Rechenschritten für die Modellierung der benötigten Echtzeiten zu reduzieren, wurde ein Upscaling der Kornverteilung durchgeführt. Dazu wurden mehrere Versuchsrechnungen mit verschiedenen Upscaling-Faktoren durchgeführt, wobei ein Faktor von 7 als geeignet angesehen werden kann. Um zu einer weiteren Reduzierung der Rechenzeit zu gelangen, wurden die beiden kleinsten Kornklassen herausgenommen. Der Anteil der darüberliegenden Kornklasse wurde entsprechend erhöht.
Diese Maßnahmen führen zu einem 2D-Modell mit insgesamt 5000 Partikeln und reduzieren die Rechenzeit auf nur wenige Tage.




Der Bereich der Schneckenumhüllenden ist durch vier Geraden begrenzt. Die untere Grenze wird durch eine Wand dargestellt. Die Auslaßfläche der Schnecke wird durch eine Aussparung in der Schachtwand visualisiert, und die obere Begrenzung ist eine imaginäre, nicht sichtbare Grenze, deren Existenz nur durch das Verhalten der Partikel sichtbar wird. Die rechte Begrenzung besteht ebenfalls aus einer Wand.
Bezüglich der Schneckenmodellierung wird folgende Strategie angewendet: Den Partikeln wird zunächst in einem schmalen Bereich eine Geschwindigkeit zugewiesen. Dieser Bereich, der nachfolgend als Abzugsbereich bezeichnet wird, ist durch zwei Geraden begrenzt, die parallel oberhalb und unterhalb der oberen Begrenzung der Schneckenumhüllenden verlaufen. Die Partikel bewegen sich im Abzugsbereich mit einer konstanten Geschwindigkeit nach unten. Unterhalb des Abzugsbereiches beginnt der Löschbereich, in welchen die Partikel nach Passieren des Abzugsbereiches gelangen und in kurzen Zeitabständen gelöscht werden. Diese Zeitabstände müssen so gewählt werden, daß sich der Löschbereich nicht vollständig mit Partikeln füllen kann und dadurch den Abzug beeinflußt.

Im folgenden Abschnitt werden beispielhaft einige Abbildungen der Ergebnisse dargestellt: Die Ergebnisse der Berechnungen zeigen u.a. den Effekt, daß sich unter bestimmten Bedingungen eine partielle Entmischung des Schüttgutes einstellt. Wann und in welchem Ausmaß eine Entmischung auftritt, hängt dabei von mehreren Faktoren ab.
In der Abbildung 3 ist als Beispiel die Verteilung des Erzes zu einem bestimmten Zeitpunkt im Schacht dargestellt. Die Neigung des Spinnenbeines wird in diesem Fall variiert. Es zeigt sich, daß dieser Faktor einen wesentlichen auf die partielle Entmischung des Schüttgutes hat. Die Partikel wurden in diesem Fall nach Kornklassen eingefärbt um die Verteilung der Partikel besser darstellen zu können.

Weiterhin ist es mit PFC möglich die Spuren ausgewählter Partikel zu verfolgen (Abb. 4a) oder die Kontaktkräfte zwischen den Partikel und den Partikeln und den Wänden (Abb. 4b) darzustellen, um somit die gewonnenen Ergebnisse zu verstehen und exakter beurteilen zu können.
Die Ergebnisse der Arbeit haben gezeigt, daß es mit PFC möglich ist Effekte nachzubilden und Einflüsse bezüglich des Fließverhaltens des Schüttgutes darzustellen. So konnte u.a. in den Simulationen erkannt werden, welche Einflüsse für die partielle Entmischung des Erzes verantwortlich sind.

Weitere Details und die exakten Ergebnisse der können in der Diplomarbeit nachgelesen werden oder in der Publikation die im Tagungsband des 17. CADFEM Users' Meetings erschienen ist!



Weitere Informationen...


...zu dieser Arbeit:
Fragen, ein Feedback oder Anregungen können an A. J. Kleier oder Herrn Prof. Dr.-Ing. H.-D. Kleinschrodt gerichtet werden. Die Arbeit kann auch bei Herrn Prof. Dr.-Ing. H.-D. Kleinschrodt eingesehen werden.



...zu Themengebieten der numerischen Simulation:
An der Technischen Fachhochschule Berlin besteht die Möglichkeit den postgradualen Masterstudiengang Computational Engineering zu absolvieren. Studenten der TFH haben zudem die Möglichkeit zwei Lehrveranstaltungen zu besuchen, die sich mit dem der Finiten Elemente Methode (FEM) beschäftigen.


...zu Diplomarbeiten:
Bezüglich Diplomarbeiten die sich mit numerischer Simulation befassen ist Herr Prof. Dr.-Ing. H.-D. Kleinschrodt und die Professoren des Studiengangs Computational Engineering Ansprechpartner. Weitere Informationen sind auch auf der Website von Prof. Dr.-Ing. H.-D. Kleinschrodt zu finden.




A. J. Kleier
Stand: 28.3.2001