Boolesche Funktionen
Aussagenlogik
Die Aussagenlogik stellt eine Abstraktion der logischen Struktur
der Sprache dar. Sie bewegt sich dabei zwischen Mathematik und
Philosophie. Sie ist die Grundlage der logischen Verknüpfungen, die
in digitalen Schaltungen eingesetzt werden. Benötigt wird allerdings
nur ihr Formalismus, der Hintergrund natürlichsprachlicher Aussagen
dient vor Allem der Motivation bzw. dem intuitiven Verständnis.
Eine Aussage ist ein Satz, von dem es sinnvoll ist, zu sagen,
er sei wahr oder falsch.
Beispiele:
Satz
| Aussage?
| Bemerkung
|
Dreiecke sind rund.
| ja
| eindeutig falsch
|
Der Mond besteht aus Schweizer Käse.
| ja
| Wir wissen es seit 1969.
|
Es regnet.
| ja
| Der Wahrheitswert variiert zwar mit dem Kontext (Ort und Zeit der
Aussage), dieser jedoch ist nicht Bestandteil des Logiksystems der
elementaren Aussagenlogik; wir beschäftigen uns hier mit einer
Abstraktion einiger Aspekte der natürlichen Sprache, „Zeit spielt
keine Rolle“.
|
Dieser Satz ist falsch.
| nein
| Aus der Annahme, der Satz wäre wahr bzw. falsch, folgt jeweils
ein Widerspruch. Daher ist keine der beiden Annahmen sinnvoll.
(Paradox)
|
Es gibt andere bewohnte Planeten.
| ja
| Diese Aussage ist entweder wahr oder falsch, auch wenn wir
dieses möglicherweise nie entscheiden können.
|
Esst mehr Obst!
| nein
| Hat keinen Wahrheitswert im Sinne einer Bestätigung, auch wenn
der Satz eine gewisse Wahrheit enthält...
|
Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen,
dass heute Ihre Ausreise
| ja
| Dieser historische Satz ist zwar grammatisch unvollständig,
seine Aussagekraft war aber dennoch eindeutig.
|
Diese und weitere Betrachtungen mögen philosophisch interessant sein,
als Grundlage für die Digitaltechnik dient im Grunde nur eine
weitere Abstraktion der Aussagenlogik,
nämlich der Umgang mit den Wahrheitswerten wahr und falsch (ohne jeden
sprachlichen Hintergrund).
Eine mathematische Grundlage des so gewonnenen Formalismus bildet die
Boolesche Algebra (s.u.).
Verknüpfungen zwischen Aussagen (die kurz mit A bzw. B als
Aussagenvariablen dargestellt werden) bilden neue Aussagen, z.B.:
A ∧ B
| Konjunktion: A und B
| ist wahr wenn sowohl A als auch B wahr ist
|
A ∨ B
| Disjunktion: A oder B
| ist wahr wenn A wahr ist oder wenn B wahr ist
|
A → B
| Implikation: wenn A dann B
| ist wahr wenn die Behauptung, dass aus A B folgt ist, stimmt;
ist die Voraussetzung (A) bereits falsch, wird nichts behauptet, und
die Implikation ist in Ordnung (also wahr); ist die Voraussetzung (A)
wahr, muss die Schlussfolgerung (B) ebenfalls wahr sein, sonst ist die
Implikation falsch
|
¬ A
| Negation: nicht A
| ist wahr, wenn A falsch ist, bzw. umgekehrt
|
A ↔ B
| Äquivalenz: A genau dann wenn B
| ist wahr, wenn A und B den selben Wahrheitswert haben, also beide
wahr oder beide falsch sind
|
A ⊕ B
| Antivalenz / Exklusiv-Oder: entweder A oder B
| A oder B, aber nicht beides
|
A ↑ B
| Shefferfunktion: nicht (A und B)
| Negation der Konjunktion
|
A ↓ B
| Peircefunktion: nicht (A oder B)
| weder A noch B
|
Verknüpfungen zwischen Aussagen lassen sich auch durch
Wahrheitstabellen beschreiben. Je Zeile werden für eine
Kombination der Wahrheitswerte der Variablen (hier a
, b
)
die Wahrheitswerte (f
= falsch, w
= wahr)
der beschriebenen Aussagenverknüpfungen dargestellt.
a
| b
| a ∨ b
| a ∧ b
| a → b
|
f
| f
| f
| f
| w
|
f
| w
| w
| f
| w
|
w
| f
| w
| f
| f
|
w
| w
| w
| w
| w
|
Die Anzahl der zweistelligen Aussagenfunktionen (also Verknüpfungen
auf zwei Aussagen) beträgt 16.
Begründung: Jede Funktion lässt sich durch eine Spalte in der
Wahrheitstabelle beschreiben. Bei zwei Variablen hat sie 4 Zeilen,
die sich auf 24 = 16 verschiedene Arten füllen lassen.
Die Anzahl der einstelligen Aussagenfunktionen (also Funktionen
von einer Aussage) beträgt 4.
Übungsaufgabe: Belege diese Aussage (sic) mit einer
vollständigen Wahrheitstafel.
Die Beschreibung der Verknüpfung von Aussagen unter Verwendung von
Aussagenvariablen heißt Aussagenausdruck oder Aussagenform,
z.B. A ∧ B bei nicht näher spezifizierten A und B, die als Platzhalter
für irgendwelche Aussagen stehen.
Aussagenverknüpfungen lassen sich durch andere Aussagenverknüpfungen
ausdrücken, z.B. ist
A → B = ¬A ∨ B
Eine Teilmenge der Aussagenverknüpfungen, mit denen sich alle
Aussagenverknüpfungen ausdrücken lassen, wird auch „Junktorbasis“
genannt.
∧ , ∨ , ¬ ist die gebräuchlichste Junktorbasis (in dem Sinne, dass
in der Schaltalgebra fast nur diese drei Verknüpfungen eingesetzt werden).
↑ alleine ist ebenfalls eine Junktorbasis.
Über Verknüpfungen von Aussagen lassen sich Gesetzmäßigkeiten
aufstellen, mit deren Hilfe sich Aussageausdrücke in andere
Aussagenausdrücke (andere „Formen“) der gleichen Aussage umformen
lassen. Insbesondere lassen sich Aussagenausdrücke auf diesem Wege
vereinfachen bzw. in eine gewünschte Form bringen.
Eine Konjunktion, in der alle betrachteten Variablen einfach oder
negiert vorkommen, beschreibt genau eine Kombinationsmöglichkeit
dieser Variablen, den Wahrheitswert wahr zu ergeben. Die durch
diese Verknüpfung entstandene Aussage hat in genau einer Zeile der
Wertetafel den Wert w.
Ein solcher Aussagenausdruck wird Minterm genannt.
Bei 2 Variablen gibt es 4 verschiedene Minterme:
a
| b
| ¬a ∧ ¬b
| ¬a ∧ b
| a ∧ ¬b
| a ∧ b
|
f
| f
| w
| f
| f
| f
|
f
| w
| f
| w
| f
| f
|
w
| f
| f
| f
| w
| f
|
w
| w
| f
| f
| f
| w
|
Boolesche Algebra
Wir werden gleich den Begriff Boolesche Algebra anhand gewisser
Kriterien definieren. Die Vorgehensweise ist in der Mathematik
üblich, um Strukturen zu benennen und mit ihren Gesetzmäßigkeiten
umgehen zu können. Aus der Schule sind in ähnlicher Weise
Strukturen wie Gruppe, Ring, Körper oder Vektorraum bekannt
(oder auch nicht). Eine Analogie aus der Gesetzgebung erläutert auch
die Bedeutung des nächsten Abschnitts: Es gibt eine gesetzliche
Definition des Begriffs „GmbH“ – sie muss einen eingetragenen
Geschäftsführer haben, über ein bestimmtes Mindestkapital verfügen etc.
Manche Wirtschaftsunternehmen sind GmbHs, weil sie den Kriterien
(unten „Axiome“ genannt) entsprechen, andere nicht. Wenn eine
Gesellschaft eine GmbH ist, folgen daraus gewisse weitere Regeln,
z.B. die Pflicht zur regelmäßigen Buchführung (und natürlich zum
Steuerzahlen).
Sei B eine Menge und seien ∧ und ∨ Verknüpfungen (zweistellige Funktionen) auf B,
d.h. Abbildungen ∧: B × B → B und ∨: B × B → B .
Die Struktur (B, ∧, ∨) heißt eine Boolesche Algebra, wenn
die folgenden 4 Axiome gelten:
- (B1) Kommutativgesetze: für alle x, y ∈ B gilt:
- x ∧ y = y ∧ x
- x ∨ y = y ∨ x
- (B2) Distributivgesetze: für alle x, y, z ∈ B gilt:
- x ∧ (y ∨ z) = (x ∧ y) ∨ (x ∧ z)
- x ∨ (y ∧ z) = (x ∨ y) ∧ (x ∨ z)
- (B3) Existenz neutraler Elemente:
es gibt 0 ∈ B und 1 ∈ B, so dass für alle x ∈ B gilt:
- x ∨ 0 = x
- x ∧ 1 = x
- (B4) Existenz komplementärer Elemente:
zu jedem x ∈ B gibt es ein x' ∈ B, so dass gilt:
- x ∨ x' = 1
- x ∧ x' = 0
Im Axiomensystem der Booleschen Algebra besteht das Dualitätsprinzip:
Durch Vertauschen der beiden Operationen ∧ und ∨ sowie der beiden
neutralen Elemente 1 und 0 gegeneinander erhält man wieder das selbe
Axiomensystem (die selbe Menge von Grundregeln). Die Operationen ∧ und ∨
sind also in ihren Eigenschaften völlig symmetrisch. Dieser Sachverhalt
kann auch so ausgedrückt werden:
Ist (B, ∧, ∨) eine Boolesche Algebra, so ist auch (B, ∨, ∧)
eine Boolesche Algebra.
In jeder Booleschen Algebra gelten weitere Gesetze, deren Gültigkeit
sich aus den 4 Axiomen ableiten lässt.
- (B5) Eindeutigkeit von 0 und 1: die neutralen Elemente sind als
Elemente von B eindeutig bestimmt.
- Beweis: Nehmen wir an, es gebe ein weiteres Element
0~ ∈ B, das ebenfalls neutrales Element bezüglich der
Operation ∨ sei. Dann gilt also für alle x ∈ B: x ∨ 0~ = x.
Also gilt das auch für x = 0, nämlich 0 ∨ 0~ = 0.
Somit ist 0 | = 0 ∨ 0~ |
(Kommutativgesetz) | = 0~ ∨ 0 |
(0 ist neutrales Element) | = 0~ |
Das heißt: wenn wir annehmen, es gebe eine weitere Null in B, so können
wir nachweisen, es ist die selbe, die wir schon haben.
Es gibt nur eine Null. (Es kann nur eine geben.)
- Übungsaufgabe: Es gibt nur eine Eins.
- (B6) Eindeutigkeit der Komplemente: zu jedem x ∈ B gibt es
nur ein komplementäres Element x' ∈ B.
- (B7) Doppeltes Komplement: für alle x ∈ B gilt
- x'' = x.
- (B8) Idempotenz: für alle x ∈ B gilt
- x ∨ x = x
- x ∧ x = x
- (B9) Gesetze von Null und Eins („Extremalgesetze“): für alle x ∈ B gilt
- x ∨ 1 = 1
- x ∧ 0 = 0
- (B10) Absorbtionsgesetze: für alle x, y ∈ B gilt
- x ∨ (x ∧ y) = x
- x ∧ (x ∨ y) = x
- (B11) Gesetze von De Morgan: für alle x, y ∈ B gilt
- (x ∨ y)' = x' ∧ y'
- (x ∧ y)' = x' ∨ y'
- (B12) Assoziativgesetze: für alle x, y, z ∈ B gilt
- (x ∨ y) ∨ z = x ∨ (y ∨ z)
- (x ∧ y) ∧ z = x ∧ (y ∧ z)
Aussagenalgebra
Sei A die Menge aller Aussagen.
(A, ∧, ∨) ist eine Boolesche Algebra.
Beweis: Die vier Axiome der Booleschen Algebra gelten in
der Aussagenlogik; im Einzelnen:
- (B1) Kommutativgesetze: gelten ✓
- (B2) Distributivgesetze: gelten ✓ (s. Wertetafel in der Aussagenlogik)
- (B3) Existenz neutraler Elemente: gilt mit den Entsprechungen
- 0 = F (die Kontradiktion ist neutral bzgl. der Disjunktion),
- 1 = T (die Tautologie ist neutral bzgl. der Konjunktion)
- (B4) Existenz komplementärer Elemente: gilt mit der Entsprechung
x' = ¬ x
Mengenalgebra
Begriffe aus der Mengenlehre
Betrachte eine Menge M. (Oder wie die Mathematiker sagen: Sei M eine Menge.)
Eine Menge enthält Elemente, z.B. a, diese sind in ihr enthalten: a∈M.
Elemente kommen in einer Menge nicht mehrfach vor.
Eine Menge A heißt Teilmenge von M, geschrieben A ⊆ M, wenn alle Elemente
aus A auch Elemente von M sind, d.h. a∈A ⇒ a∈M.
Die Potenzmenge ℘(M) ist die Menge aller Teilmengen von M,
also A ∈ ℘(M) genau dann wenn A ⊆ M.
Beispiel: Mit M = {1, 2, 3} ist
℘(M) = {{}, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}.
Wenn M n Elemente hat, hat ℘(M) 2n Elemente.
- Auf ℘(M) sind folgende Operationen definiert:
- Schnittmenge von A und B: die Menge aller Elemente von M,
die sowohl in A als auch in B enthalten sind.
- A ∩ B = {x ∈ M : x ∈ A ∧ x ∈ B} für alle A, B ⊆ M.
- (sprich: A geschnitten (mit) B ist die Menge aller x aus M für die
gilt: x ist in A und x ist in B)
- Vereinigungsmenge von A und B: die Menge aller Elemente von M,
die in A oder in B enthalten sind.
- A ∪ B = {x ∈ M : x ∈ A ∨ x ∈ B} für alle A, B ⊆ M.
- Mengenkomplement B ohne A: die Menge aller Elemente von B,
die nicht in A enthalten sind.
- B \ A = {x ∈ B : ¬ (x ∈ A)} für alle A, B ⊆ M.
- Interessant ist insbesondere das Mengenkomplement bezüglich der
Grundmenge, M \ A, auch A geschrieben.
Sei M eine Menge.
(℘(M), ∩, ∪) ist eine Boolesche Algebra.
Beweis: Die vier Axiome der Booleschen Algebra gelten für die
Mengenoperationen; im Einzelnen:
- (B1) Kommutativgesetze: A ∩ B = {x ∈ M : x ∈ A ∧ x ∈ B}
- = {x ∈ M : x ∈ B ∧ x ∈ A} nach dem Kommutativgesetz der Aussagenalgebra
- = B ∩ A
- Entsprechend gilt A ∪ B = B ∪ A
- (B2) Distributivgesetze: gelten entsprechend
- (B3) Existenz neutraler Elemente: gilt mit den Entsprechungen
- 0 = {} (die leere Menge ist neutral bzgl. der Mengenvereinigung),
- 1 = M (die gesamte Grundmenge M ist neutral bzgl. des Mengendurchschnitts von Teilmengen von M)
- (B4) Existenz komplementärer Elemente: gilt mit der Entsprechung
A' = A
Damit gelten auch alle abgeleiteten Gesetze (B5 etc) der Booleschen
Algebra in der Mengenalgebra.
Mit Mengendiagrammen lassen sich die Verhältnisse bestimmter
Teilmengen einer Grundmenge (also von speziellen Elementen einer
Mengenalgebra) grafisch darstellen.
Mit sogenannten Venn-Diagrammen lassen sich die Verhältnisse
beliebiger Teilmengen einer Grundmenge allgemeingültig grafisch
darstellen. Dazu muss das Diagramm alle Überschneidungsmöglichkeiten
der betrachteten Teilmengen enthalten; bei n Teilmengen sind also
2n Bereiche dargestellt, entsprechend den 2n
Zeilen einer Wertetafel für n Variablen der Aussagenlogik.
Effektiv lassen sich somit mit Venn-Diagramm Gesetze der Booleschen
Algebra veranschaulichen.
Schaltalgebra
Aussagenlogische bzw. Boolesche Verknüpfungen lassen sich elektrotechnisch
realisieren. Dazu werden Schaltungen eingesetzt, deren Eingänge und
Ausgänge jeweils einen von 2 Werten annehmen können, meist 0 bzw. 1 genannt.
Auf diesen beiden Werten sind folgende Verknüpfungen definiert:
-
A
| B
| A · B
| A + B
| A
|
0 | 0
| 0 | 0 | 1
|
0 | 1
| 0 | 1 | 1
|
1 | 0
| 0 | 1 | 0
|
1 | 1
| 1 | 1 | 0
|
Da es sich offensichtlich um die bekannten logischen Verknüpfungen
UND, ODER, NICHT handelt – nur in anderer Notation – ist
({0, 1}, ·, +) per Konstruktion eine Boolesche Algebra.
Ein Bit ist ein Element aus {0, 1}
oder eine Variable, die einen solchen Wert annehmen kann.
Eine Funktion in der Schaltalgebra heißt auch Schaltfunktion.
Ein Schaltausdruck ist eine bestimmte Form, eine
Schaltfunktion durch Verknüpfungen auf den Variablen zu realisieren.
Wie in jeder Booleschen Algebra lassen sich Schaltausdrücke, die
dieselbe Schaltfunktion realisieren (beschreiben / darstellen /
ausdrücken / implementieren), mit Hilfe der Booleschen Gesetze
ineinander umformen.
Ist das Ergebnis der Umformung einfacher, sprechen wir
auch von der Vereinfachung eines Schaltausdrucks (als Implementierung
einer Schaltfunktion).
Was dabei als einfacher angesehen wird, hängt allerdings von externen
Kriterien ab (s.u.).
Konventionen in der Notation von Schaltausdrücken:
- · kann weggelassen werden: A·B = AB
- · bindet stärker als +: (A · B) + (C · D) = A · B + C · D = AB + CD
Beachte, dass diese Konventionen der kürzeren Schreibweise dienen, jedoch
auch Verwirrung stiften können, denn im Gegensatz zur Arithmetik sind
in der Booleschen Algebra die Verknüpfungen · und + hinsichtlich ihrer
Eigenschaften vollkommen symmetrisch.
Gatter
ist der Name für die elektronische Realisierung einer elementaren
Verknüpfung. Im folgenden Abschnitt sind u.a. die typischen Gatter für
NAND, NOR, NOT („Inverter“), AND, OR, XOR dargestellt.
Die Realisierung einer Schaltfunktion, genauer eines Schaltausdrucks,
als digitale Schaltung wird grafisch in einem Schaltdiagramm dargestellt,
in dem die gebräuchlichen Verknüpfungen durch Schaltsymbole
dargestellt werden.
Für die wichtigsten Booleschen Verknüpfungen gibt es jeweils
grafische Symbole, und zwar in drei verschiedenen Notationen:
- deutsch (traditionell und leicht zu malen),
- amerikanisch (traditionell und sehr verbreitet),
- genormt nach IEC 60617-12 (hässlich und unpraktisch).
Die Tabelle der 16 zweistelligen Booleschen
Funktionen stellt diese in den verschiedenen Notationen dar.
Konventionen in der Notation von Schaltdiagrammen:
- Negation am Ausgang: ein fetter Punkt (deutsch) bzw. Kringel
(amerikanisch, IEC) am Ausgang eines Schaltsymbols steht für eine
Negation im Anschluss an dessen Schaltfunktion (in den Symbolen für NAND
und NOR ist diese Bedeutung integriert).
- Negation am Eingang: ein fetter Punkt (deutsch) bzw. Kringel
(amerikanisch, IEC) am Eingang eines Schaltsymbols steht für
eine Negation vor dem entsprechenden Eingang der Schaltfunktion.
- Leitungsverbindung: wird mit einem fetten Pünktchen an der
Verbindungsstelle dargestellt.
- verbindungslose Leitungskreuzung: wird durch Überkreuzen der
Linien, manchmal auch durch kleine Bögen (Brückchen) dargestellt.
Äquivalente Schaltungen
Schaltungen, die nach den Regeln der Schaltalgebra (also der Booleschen
Algebra) ineinander umgeformt werden können, sind funktional äquivalent.
- Distributivgesetze:
- …
- De Morgan:
- …
(Beachte aber, dass nicht-Boolesche Eigenschaften der Schaltungen
ggf. signifikant verschieden sein können.)
Disjunktive Normalform
Betrachte Schaltfunktionen von n Variablen, z.B. A, B, C.
Eine Konjunktion, in der alle Variablen vorkommen, entweder direkt
oder negiert, heißt Minterm.
Die Schaltfunktion eines Minterms hat in der Wertetafel genau eine 1.
Jede Schaltfunktion lässt sich als Disjunktion von Mintermen ausdrücken,
die (kanonische) Disjunktive Normalform DNF.
Schaltverzögerung
Wenn sich Eingangswerte einer Schaltung ändern, ändern sich die
Ausgangswerte gemäß der Schaltfunktion. Dies passiert nicht (mathematisch)
sofort, sondern (physikalisch) nach einer Signallaufzeit (engl. „delay“),
die von der Anzahl der Gatter abhängt, die maximal zwischen Eingängen
und Ausgängen liegen, die Stufigkeit der Schaltung.
Zur Abschätzung werden bei Einsatz der üblichen Technologien
NAND/NOR/AND/OR als eine Stufe gezählt, Negationen werden ignoriert.
Mehrstellige Schaltalgebra
Betrachte die Menge aller Folgen von n Bits: Bn = {0, 1}n.
Z.B. {0, 1}3 = {000, 001, 010, 011, 100, 101, 110, 111}.
Für a, b ∈ Bn seinen Verknüpfungen der Schaltalgebra
stellenweise definiert, z.B. 011 · 101 = 001 (jede Stelle wird für
sich betrachtet und jeweils verknüpft).
(Bn, ·, +) ist eine Boolesche Algebra.
Beweis: durch stellenweises Nachvollziehen der Axiome.
Ein Wort ist ein Element aus Bn oder eine Variable,
die einen solchen Wert annehmen kann.
(Bei n=8 reden wir von einem Byte.)
Ein Register (der Länge n) ist eine digitale Schaltung, die
ein Wort (aus Bn) aufnehmen / speichern kann.
Umformung von Schaltfunktionen
Übersicht:
Zwischen den Ausdrucksmöglichkeiten einer Schaltfunktion bieten sich
folgende Umformungswege an:
Schaltung
| →
| Schaltausdruck
|
| ↘
| ↓
| ↘
|
|
| Wertetafel
| ↔
| DNF
| →
| minimaler Ausdruck
|
|
| | ↘
| ↓
|
| ↓
|
|
|
|
| KV-Diagramm
| →
| einfache Schaltung
|
Algebraische Vereinfachung
Die Umformung von Schaltausdrücken mit dem Ziel, möglichst einfache
Schaltungen zu erreichen (welches im Folgenden noch definiert werden muss),
führen wir am Beispiel einer Schaltung ein, die folgenden
Schaltausdruck hat:
¬ (¬ (ac ∧ bc) ∧ ac)
...
ac + ac ∧ bc
= ac + b + c
...
Vorgehensweise im Beispiel:
- Analyse der Schaltung, um schrittweise zum Schaltausdruck zu gelangen.
- Ausdruck nach den Regeln der Booleschen Algebra umformen.
- Den erhaltenen einfacheren Ausdruck in eine einfachere Schaltung umsetzen.
In diesem Beispiel wird aus einer 3-stufigen Schaltung durch die
Vereinfachung eine schnellere Schaltung gemacht.
Systematische Vereinfachung
Die Verfahren nach Karnaugh/Veitch bzw. nach Quine/McCluskey basieren
auf der Darstellung der Schaltfunktion als Disjunktive Normalform.
Die Minterme werden in ein Schema eingetragen, das die systematische
Aufspürung von Zusammenfassungen ermöglicht. Durch Zusammenfassung
„benachbarter Minterme“ wird aus ihnen nach dem Distributivgesetz,
Extraktion des gemeinsamen Teilterms und Eliminierung der
unterschiedlichen Variablen ein jeweils einfacherer Teilausdruck.
Vereinfachung nach Karnaugh/Veitch
Die Menge der Minterme für n Variablen ist eine Mengenalgebra, die
der n-stelligen Schaltalgebra entspricht. Aus dem Venn-Diagramm wird
durch passende Anordnung das KV-Diagramm mit den Eigenschaften
- die Minterme benachbarter Felder unterscheiden sich in nur einer Variable
- gegenüberliegende Felder sind benachbart
…
Beispiel
a
| b
| c
| f
|
0 | 0 | 0
| 1
|
0 | 0 | 1
| 0
|
0 | 1 | 0
| 0
|
0 | 1 | 1
| 0
|
1 | 0 | 0
| 1
|
1 | 0 | 1
| 0
|
1 | 1 | 0
| 1
|
1 | 1 | 1
| 1
|
Optimierung von Schaltfunktionen: Kriterien
Welcher Schaltausdruck einer Schaltfunktion für einen bestimmten Zweck
einfacher bzw. geeigneter ist, hängt von verschiedenen Kriterien ab, z.B.
- Verwendung möglichst weniger Gatter (spart Platz und Kosten)
- Möglichst wenige Stufen (möglichst schnell)
- Optimierung nach Anzahl der eingesetzten Chips (die jeweils mehrere
Gatter enhalten); hierbei können ggf. auch durch Wahl eines weniger
einfachen Schaltausdrucks Platz und Kosten gespart werden
- DNF zur Programmierung einer Schaltfunktion in einem PLA
(Programmable Logic Array) als Einchiplösung (teuer aber spart Platz)
Minimierung von Schaltfunktionen: Verfahren und ihre Eigenschaften
- algebraisch
- kreative Vorgehensweise durch Anwendung der Booleschen Algebra
- optimales Ergebnis nicht garantiert
- macht Spaß
- grafisch: Karnaugh/Veitch
- systematisches Verfahren
- führt immer zu 2-stufiger Schaltung mit möglichst wenig Gattern
- übersichtlich bis ca. 4 Variablen
- machbar bis ca. 6 Variablen
- tabellarisch: Quine/McCluskey
- systematisches Verfahren
- führt immer zu 2-stufiger Schaltung mit möglichst wenig Gattern
- geeignet für beliebig viele Variablen
- automatisierbar